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Juist – eine Hochzeit und ein Todesfall.

August 14th, 2013|0 Comments

Noch ziemlich verschlafen stehe ich in  Braunschweig am Bahnhof. Es ist kurz vor neun an einem Donnerstag. Die Sonne scheint.
Braunschweig … Braunschweig … Shit! Hätte ich nicht in Hannover aussteigen sollen?
Innerhalb von Minuten zerbröselt mein ausgeklügelter Reiseplan, der mich auf die Nordseeinsel Juist zu einer Hochzeit von Freunden bringen sollte. Eigentlich hätte ich es wissen müssen – alleine darf ich einfach nicht reisen!

So schön ist Braunschweig. Noch schöner wäre es, wenn ich hier auch hingewollt hätte.

Dreißig Minuten nach dem Ablegen der einzigen Fähre des Tages komme ich in einem beschaulichen Küstenort an. Ein Taxi, von einer schwerhörigen, aber starken Rentnerin gesteuert, bringt mich zum Flugfeld Norden-Norddeich. Der einzige Weg rechtzeitig zur Trauung morgen früh zu kommen, führt wohl durch die Luft.

Wie das Wort “Flugfeld” schon ganz richtig impliziert, ist es hier recht überschaubar. Als ich die Propellermaschine vor dem Check-In-Schuppen rumrosten sehe, bin ich empört. Dieses Blechteil kann doch nicht ernsthaft übers weite Meer fliegen? Meine Theorie: Je kleiner die Maschine, desto sicherer der Tod. (Wie ihr vielleicht schon wisst: Ich habe Höhenangst.)

Okay, mal Spaß beiseite – wo ist jetzt das richtige Flugzeug?

Ich rolle meinen Koffer in das Gebäude und gehe zum Schalter. Der Mann dort sieht aus wie ein alter Seebär. Er hat die Ruhe weg und sein grauer Schnäuzer wippt auf und ab beim Sprechen.

Der einfache Flug soll 42 Euro kosten. Immerhin schon mal weniger als ich erwartet habe.
Die Flugzeit beträgt fünf Minuten. Bitte was? FÜNF Minuten? In fünf Minuten kann ich mir nicht mal die Schnürsenkel binden! Wie soll der Pilot denn in fünf Minuten alle Sicherheitsmaßnahmen erklären, starten, auf 10.000 Fuß Flughöhe steigen, Drinks servieren, heimlich auf dem Klo eine rauchen und wieder landen? Ein Co-Pilot passt schon mal nicht in den Flieger. Eigentlich ist er sogar so klein, dass ich nicht mal weiß, ob der Pilot selbst passt.

Ich hab die Hosen* businessmäßig gestrichen voll.
*H&M Trend, Frühjahr/Sommer 2011

Ausweis- oder Sicherheitskontrollen gibt es nicht. Klar! Verrückte, Drogenkuriere und Attentäter, bitte machen Sie es sich bequem. Hier haben Sie noch die aktuelle Ausgabe der Business Air News. Gute Reise.

Passenderweise werden die Insassen der gerade von der Insel gelandeten Maschine von der Kriminalpolizei Norden abgeführt und im Nebenraum verhört. Wieso wohl?

Es ist soweit. Wir besteigen dieses Auto mit Flügeln. In der letzen Reihe finde ich Platz, mein Kopf streift die Decke, die Knie habe ich vor lauter Enge Richtung Kinn gezogen. Vor mir sitzt eine Mutter mit aufgeregtem Kind, davor ein Pärchen, davor eine junge Frau, davor der Pilot. Die Propeller der Maschine setzen sich ratternd in Bewegung, wir holpern über die Startbahn und heben kurz danach steil ab.

Ach, Sie sind auch Terroristin? Dann helfe ich Ihnen gerne, Ihren dicken Hintern nach drinnen zu schieben.

Ob ich vielleicht doch wieder aussteigen und die Hochzeit verpassen dürfte? Der Wind hat aber schon mal etwas anderes mit uns geplant. Wie einen kleinen Papierflieger zwingt er uns von links nach rechts und wieder zurück. Draußen strahlen Wolken und Ozean um die Wette. Ich schließe die Augen und spreche das Vaterunser.
Bei “der du bist im Himmel” setzen wir wieder auf.

Herzlich Willkommen auf Juist. Ihr Gepäck haben Sie ja eh schon auf dem Schoß transportiert. Bitte zeigen Sie nicht Ihren Ausweis vor. Zum Taxi folgen Sie einfach dem Wiehern.

Vom Flieger falle ich mit meinem Koffer in das dort so übliche Pferdekutschentaxi. Am Hotel treffe ich dann meine Freunde. “Hast du schon gehört, dass hier gestern ein junges Mädchen vergewaltigt, ermordet und am Strand verbuddelt wurde? Wir haben den Arm aus dem Sand gucken sehen. Der Mörder ist noch nicht gefasst.”

Super. Gerade erst den Kampf mit den Elementen Luft, Wasser, Blech und Pferd überstanden und jetzt schon gefangen auf einer kleinen Insel mit einer Leiche und einem Mörder. Der Stoff, aus dem die Träume sind. Immerhin wird es eine Hochzeit geben.

Wenn wir vorher nicht alle sterben.

Endlich am friedlichen Strand von Juist angekommen. Falls ich in einer Woche nicht wieder zu Hause bin: Ruft die Kriminalpolizei Norden!

 

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