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Ein erholsames Wochenende in den Bergen

Dezember 11th, 2011|0 Comments

SAMSTAG

07:00h
Der Wecker klingelt nach gesunden drei Stunden Schlaf. Ich weiß spontan nicht, worum es geht. Nix macht Sinn. Dann fällt es mir ein: Ich fliege nach München. Irgendwas mit Bergen. Ich bin total betrunken und snooze.

07:15h
Wann muss ich los?  In einer halben Stunde. Es dreht sich alles. Die Katze nervt. Hätte ich etwas Energie, würde ich sie anbrüllen. Der Weg in die Küche ist furchtbar lang und kalt. Theoretisch und praktisch bin ich nicht in der Lage, zu reisen. Ich schalte das Radio ein. Es laufen die Ärzte. Danke, jetzt bin ich wach. Schlecht ist mir trotzdem. Ich schmiere mir einen Kanten Brot mit irgendwas – vielleicht saugt das noch etwas Alk aus dem Magen. Dann leere ich einen halben Liter schwarze Johannisbeerschorle. Man gönnt sich ja sonst nichts.

07:28h
Ich betrete das Bad.  Duschen fällt aus, is klar. Muss ja gleich los. Ist der Heroin-Chic eigentlich wieder salonfähig? In Bayern? Ich werde es herausfinden müssen.

07:51h
Kamera, Portemonnaie, Tickets – ich hab alles außer meiner Würde. Es kann losgehen.

08:02h
Ich ziehe meinen Koffer laut die Treppe zur U-Bahn hinunter. Tragen steht nicht zur Debatte. Super. Die Bahn nach Schönefeld kommt gleich. Vorsichtshalber krame ich die Flugbestätigungsmail aus meinem Rollkoffer…

08:03h
Ich muss nach Tegel!?  Wie oft kann man eigentlich noch auf diesen Schwachsinn reinfallen? Ich breche in Panik aus, dann stelle ich eine alternative Route zusammen. Kurz vergesse ich sogar die Übelkeit.

08:31h
Ich falle in einen Bäcker am Kutschi. So wie ich aussehe, könnte ich auch in den Mülltonnen nach Essbarem suchen. Würde nicht weiter auffallen. Im Radio läuft Alexandra Burke.  Ihr Nachname klingt so, wie ich mich fühle.

08:36h
Im Bus möchte eine Dame meinen Sitzplatz. Not gonna happen, Sister.

08:49h
Ich stehe vollkommen dehydriert in der Check-In-Schlange. Mein 7 Kilo schweres Köfferchen entspricht gewichtstechnisch nicht den Anforderungen der Airline. “Es ist nur sehr wenig Platz im Flugzeug.“ Selbst ich merke, dass die  Zusammenhänge hinken. Ich muss es einchecken. Mir ist alles egal, Hauptsache ich muss hier und jetzt nicht sterben.

08:56h
Ich trinke das teuerste Wasser der Welt. Jeder Schluck kostet mich etwa einen Euro.
Worth. Every. Fucking. Penny.

09:10h
Ich lese den Playboy im Wartekabuff. H. kommt rein. Als wir uns hallo sagen, muss ich rülpsen. Er weiß dafür meinen Namen nicht. Dann sind wir wohl quitt. Ich lese demonstrativ wieder nackte Frauen.

09:14h
Eine Damenhandballmannschaft mit Partnerlook-Hoodies schart sich um mich. Alle haben kurze Haare und muskulöse Oberarme. Sie lesen auch den Playboy.  Natürlich. Ihr Mittagsmenü für die kommenden Tage muss demokratisch gewählt werden. Auf dem Speiseplan stehen Schweinelendensteak, Rinderfilet und Eisbein. Ich setze mich um.

09:26h
Ich merke, dass in Schlangen zu stehen heute nicht so mein Ding ist. In dem Fach über meinem Sitz hätten noch zehn meiner Koffer Platz gehabt. Vor mir sitzt der übergewichtige asiatische Friseur aus Schwer Verliebt.  Oder jemand anderes. Erst mal schlafen.

11:05h
Ich erwache, als wir den Asphalt berühren. Meine Augen kriege ich trotzdem nicht auf. Blind schleiche ich den Flur entlang Richtung Ausgang. Viel zu viele Menschen hier. An der Gepäckausgabe warte ich 25 Minuten auf meinen Koffer. Ich bin fuchsteufelswild.

11:47h
Ich sitze in der vollen S-Bahn nach München Zentrum. Für nur 10 Euro. Draußen sieht es öde aus. Felder, Bäume, Nebel. Flach wie Brandenburg. Wo sind denn jetzt die Berge und Brezn? Niemand trägt Dirndl. Alle sind auch total normal. Die sprechen nicht mal komisch. Etwas enttäuscht betrachte ich meine Haarspitzen. Zwar ist mir nicht mehr so doll nach Kotzen, nach Jägermeister ist mir aber auch nicht.

12:30h
Ich habe 50 Minuten in der Bahn gesessen und niemand wollte mir Feuerzeuge oder eine Obdachlosenzeitung verkaufen, niemand hat mir einen Song gespielt, niemand hat einfach mal so nach Geld für Drogen gefragt, niemand hat betrunken laut die Welt/Ausländer/Politiker verflucht. Es war wunderbar ruhig. Meine Laune steigt stetig. Immer noch keine Berge.

21:02h
Nach Hotel-Check-In, Mittagsschlaf und Make-Up sitze ich nun in 1500 Metern auf der Drehmöser-9-Alm. Ich habe Magenkrämpfe und Schüttelfrost. Das ist sicherlich die Höhenkrankheit. Die dünne Luft und so. Ich bin umgeben von Jägermeister. Auf Eis, mit Red Bull, Saft, Brause, Wasser, Milch, Bier – alles kann, alles muss. Ich lege meinen Kopf auf der Theke ab. Wenn ich den Schnaps nicht sehe, sieht er mich vielleicht auch nicht.

21:20h
D. und D. besuchen mich an meinem Sitzplatz an der Bar.  Sie nehmen sich meine mühsam zu einem Turm gestapelten Getränkemarken und bestellen drei Jägermeister-Redbull. Ich solle mich nicht so anstellen. Der erste Schluck tut mir in der Leber weh. Vom zweiten muss ich aufstoßen. Nach dem dritten etappe ich mich beim Lächeln. Ich erinnere mich wieder daran, wie man sich eigentlich im Leben fühlen sollte. Irgendwie glücklich.

21:29h
Mein High hielt etwa 27 Minuten vor. Inzwischen bin ich zurück in einen bemitleidenswerten Geisteszustand gefallen und starre auf den Kamin. Oder auf die dauergewellten Dorfdamen. Drehmöser-Style.

22:14h
Ich hänge so auf einem rustikalen Holztisch rum und spiele mit Strohhalmen. Vor mir steht ein oranger Jägermeister-Stammtisch-Wimpel, um meine Schultern schmiegt sich ein Jägermeister-T-Shirt, vor mir stehen kleine Flaschen Jägermeister, daneben liegt ein Haufen Jägermeister-Getränkebons. Es ist klar, wo ich mich befinde. Oben spielt die Band, hier unten gammeln die Partypooper rum. Ich gucke nach draußen. Irgendwo muss die Zugspitze sein. Man sieht genau: nix. Ehrlich gesagt könnten die mich auch in  einen unterirdischen Saunaclub gefahren haben.  Nachts verpufft der Effekt eines Bergmassivs irgendwie. Hinter mir hängen in einem Trockenschrank etwa 20 Schinken. Naja, ist ja auch ganz schön.

23:05h
Ich trinke Apfelschorle aus einem Maßkrug. Der Bluff fällt keinem auf.
Mein Mantra des Abends: Ich möchte mich nicht vor dem Kamin zusammenrollen und einschlafen! Ich möchte mich nicht vor dem Kamin zusammenrollen und einschlafen! Fast glaube ich es mir selbst.

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23:23h
Die Gondel fährt um zwei Uhr wieder nach unten. Bis dahin muss ich hier ausharren. Ein betrunkener Typ setzt sich zu mir. Er kommt aus Garmisch. Ich behaupte, ich hieße Tusnelda und sei aus Polen. Er geht wieder. Ich exe meine Apfelschorle wie eine ganz Harte.

00:12h
Ich bin umgeben von hackedichten Jungs, die ich nicht kenne. Kurz hebt sich meine Laune wieder.
Der eine: Du bist auch aus Reinickendorf? Vielleicht waren wir auf einer Schule?
Ich: Wie alt seid ihr?
Er: Zwanzig. Und du?
Ich: Dreißig.
Schweigen.
Er: Du könntest unsere Mutter sein!
Ich zeige meine goldene Mutter-Kette. Alle sind beeindruckt. Dann geht uns der Gesprächsstoff aus. Ich schleiche zurück zu meinem Barhocker.

23:57h
D. interviewt mich draußen. Irgendjemand filmt. Ich erzähle vom großartigen Partyspektakel. Ich finde, ich bringe das voll real rüber. (Edit: Später werde ich herausfinden, dass ich so natürlich wirke, wie die Konservierungsstoffe in Skittles.) Noch eine Stunde bis Abfahrt.

02:03h
In der Gondel schwebe ich Richtung Abgrund. Ins tiefe, schwarze Nichts. D. und D. sprechen vom Altenpanorama in der hoteleigenen Sauna. Ich kauere mich am Boden des Kräftigs zusammen. Je weniger hoch ich bin, desto weniger tief kann ich fallen.

 

SONNTAG

12:13h
Wir fahren mit dem Auto am Eibsee vor. Ich bin so aufgeregt wie selten. Meine Kamera ist geladen und schussbereit. Gleich gibt es was mit Bergen. Wir laufen durch einen kleinen Wald. Eigentlich renne ich. Ich kann den Ausblick nicht mehr länger abwarten. Irgendwo hier muss der See sein. Und dann lichten sich die Bäume. Ich fühle so etwas wie Ehrfurcht. Der flache, glasklare See leuchtet in stattlichen Grüntönen. Am Ufer liegen große graue Steine, dahinter baut sich ein von der Sonne erleuchteter Streifen aus Tannen auf. Und dann muss man seinen Köpf heben, um das Bergmassiv um die Zugspitze überhaupt erfassen zu können. Schroff, von Schneelinien durchzogen ragen die scharfen Kanten der Steintürme in den türkisen Himmel. Alles funkelt und glänzt und schimmert, als hätte ich die Szene schon durch mein digitales Bildbearbeitungsprogramm gejagt. So ist das also in den Bergen. Ich hatte keine  Ahnung. Ich nehme meine Kamera und lasse ein Blitzfeuer auf die Idylle los. Theres no stoppin now.

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20:30h
Ich verabschiede D. auf dem Flughafen-Weihnachtsmarkt genau zwischen Terminal eins und zwei an der Eislaufbahn. Um uns herum zuzeln alle weiße Würste.

20:34h
Ich trage eine Strumpfhose, Jeans, zwei Paar Socken, Lammfellsohle in den Schuhen, Unterhemd, Shirt, Strickjacke, Hoody, Wintermantel und Schal. Macht man doch so in den Bergen? Draußen sind zehn Grad, hier drinnen gefühlte 29. Ich schwitz wie ein Schwein. Na, wenn ich schon die Sauna verpasst habe… Ist auch alles hier fast wie im Spa. Nur halt nicht so geil.

23:47h
Ich bin gerade zu Hause angekommen. Ich fühle mich wie überfahren. Und dann gucke ich die Bilder an. Von der Zugspitze. Aus der Gondel. Von der Alm. Und bin glücklich.

Trinken werde ich trotzdem nie wieder.

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