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Integrationsgespräch im JobCenter Berlin Kreuzberg.

Mai 21st, 2010|0 Comments

Um zehn vor 2 schleppe ich mich das treppenhaus des jobcenters berlin kreuzberg hoch. Es riecht leicht muffig. Die wände sind von oben bis unten beschmiert. Ich finde es schön, weil das genau meinen erwartungen entspricht. Ich bleibe stehen und mache ein foto fürs familienalbum.
Dann setze ich mich in den wartebereich c1 im ersten stock. Ü25 steht an der tür. Ich nehme an das hat was mit dem alter zu tun. Ich finde das eine frechheit. Ich fühle mich noch deutlich jünger.
Nun ja. Mit mir warten 2 alternative (read: ungewaschene) personen mit geknickten mappen in der hand. Nach und nach werden die beiden und vor allem sehr viele nicht vorhandene menschen aufgerufen. Ich bin erstaunt, dass alle mitarbeiter so jung und geistreich aussehen.
Dann öffnet sich die zimmertür ganz nah am treppenhaus und es guckt eine rothaarige alte figur hervor. Ich erschaudere und hoffe, dass sie nicht müller aufruft.
„Müller!“

Oha. Schade. Ich stopfe so schnell wie möglich meine leselektüre in die tasche, schnappe meinen dicken wintermantel (es ist ja erst ende mai) und folge ihr in ihre höhle, in der sie zu hausen scheint.
„Also sie wollen heute ihren antrag abgeben!“
Ich versuche nicht auf ihren buckel zu starren.
„Ja genau.“
Aus jeder pore versprühe ich professionalität und zielstrebigkeit, um eventuellem firlefanz gleich mal zu entgehen.
Mit ihr zusammen fülle ich am computer meinen lebenslauf aus. Dass ich einen fertigen lebenslauf in der tasche habe interessiert nicht weiter.
Während sie tippt gucke ich mir ihre gespaltenen haarspitzen an. Schön rot.
Frau lehmmeyer-obhult (oha- sie hatte mal einen mann!) schwafelt etwas von arbeitsmarkt und erstattung von bewerbungskosten. Dass ich nur in berlin und umgebung arbeiten möchte (wobei umgebung ja schon gelogen ist) findet sie zwar etwas unflexibel, erlaubt mir aber mich erstmal ein paar wochen hier umzugucken, bis sie mich zu gesprächen nach wanne-eickel schickt.
Als sie erwähnt, dass ich einmal pro monat vorbeischauen muss wird mir noch mal bewusst, dass diese frau nun meine ansprechpartnerin und potentielle geldhahnverstopferin ist.
„Ich möchte ihnen ja hier nicht gleich ne maßnahme aufdrücken!“ sagt sie mit fies glitzernen augen. Ich hatte noch nichts verbrochen (da war ja noch nicht mal geld genehmigt) und schon wurde mir aufs schlimmste gedroht.
„So. Jetzt müssen wir ihnen gleich noch ein jobangebot mitgeben, auf das sie sich dann innerhalb der nächsten woche zu bewerben haben. Wir gucken mal zusammen. Was machen sie noch mal?“
„Online community management. Social networking. Marketing im weitesten sinne.“
Sie tippt „online“ in ihren c64 und der wirft ihr 5 stellenangebote aus. Das ganze druckt frau lehmmeyer-obhult erstmal aus. Papierverschwendung ist hier schon wegen der 10 anderen stellenangebote, die ICH selbst gesucht hatte, definitiv von nöten.
„Doch. Wir müssen das hier machen, sonst gibt’s gleich ne maßnahme.“
Da war es wieder – dieses wort.
Sie entscheidet sich für eine stelle. Ich überfliege kurz die beschreibung. Von „kontaktlinsenhersteller“ ist da die rede. Aber immerhin mit „online-shop“. Passt also super zu mir. Da haben wir den gordischen knoten ja schon fast entwirrt – die lehmmeyer-obhult und ich. Teamwork ist halt gefragt.
„Bewerbungsmappe haben sie dabei?“
„Ja. Wollen sie sehen?“
„Nein.“
Ich frage mich ob sie überhaupt weiß, nach was für jobs ich suche. Ich stelle mir vor wie sie mit einem iphone vor mir sitzt und tweetet.
„Dann hören sie von mir mit neuen stellenangeboten und jetzt gehen sie bitte in wartebereich c7 und geben ihren antrag ab.“ Ich gucke ob unter ihrem schreibtisch ein alter besen liegt.
„Schönen tag noch.“ wünsche ich und frage mich wie ich jetzt so schnell wie möglich an einen job komme, um der frau langfristig gesehen aus dem weg zu gehen.
Eine treppe tiefer bleibe ich stehen und lese kurz was so an den wänden steht. Anita liebt onur.
Unten angekommen wartet schon ein junger etwas schwammiger herr möller auf mich.
Möller und müller. Ich bin schon mal begeistert und knöpfe mir einen knopf am hemd auf.
Ich setze mich und lege den hauptantrag auf arbeitslosengeld II sowie anlagen ev, ek, vgc, tk, dlz, p7 und r2d2 und einen dicken stapel bescheide, dokumente und briefe vor.
Er guckt alles durch, macht sich kopien und notizen und sagt dann
„Ich sehe sie haben ihren letzten job gekündigt?“
„Ja genau.“
„Wurden sie bei ihrer letzten arbeitsstelle sexuell belästigt, von ihrem lebenspartner in england geschlagen oder hat ihre mutter in berlin aids, so dass sie kündigen und zurückkehren mussten?“
„Nein?“
„Nein?“
„Nein!“
„Achso, na DANN haben wir da ja ein problem. Da ziehen wir ihnen gleich erstmal 40% ab.“
„Aha. 40% von wie viel noch mal?“
„40% von 235 euro.“
Ja super. Lohnt sich dann ja alles hier auch so richtig, denke ich und sage nichts.
„Sie müssen dann noch den girokontovertrag ihrer bank nachreichen bis heute 18 uhr. Ich schreibe ihnen mal meine email-adresse auf und sie können das scannen und schicken.“
Der möller nimmt einen post-it in gelb und schreibt. Er reicht mir den zettel und ich versuche vorzulesen. Er korrigiert mich, ich nehme einen stift und verbessere alle Bs, die wie sechsen aussehen.
„Ist schon seit der ersten klasse so mit der handschrift.“
„Na macht ja nichts.“ sage ich und frage mich, ob das jetzt diskriminierend war / klang.
„Sie hören dann postalisch von uns.“
Herr Möller lächelt nett, wobei ihm etwas spucke im mundwinkel hängt.

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