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Meine 5 Minuten auf 102.6

Mai 22nd, 2012|2 comments

Radio Fritz fragte mich neulich, ob ich bereit wäre, mich in ihrer Internetz-Sendung Trackback für die Rubrik “Blogger privat” interviewen zu lassen. Weil Steffi vom Hochzeitsblog Nini und Florida mich so lieb empfohlen hatte. Da ich mich als sehr privaten Blogger verstehe und Schmeicheleien eh nicht widerstehen kann, sagte ich ja. Wie jeder vernünftige Autor bin ich mündlich eine Niete und ahnte schon im Voraus Schreckliches.

Auf dem Weg zu den rbb-Studios in Potsdam treffe ich das Bird. Sie ist heute Mittag an Seilen befestigt vom Hochhaus am Alex gesprungen. Auf einmal scheint Radio doch gar keine so schlechte Option für einen Samstag. Es könnte alles so viel schlimmer sein. (Siehe Bird.)

Ich denke über meinen Blog nach: Wer bin ich? Worüber schreibe ich? Was ist mein USP? Ach, egal. Ich beschließe nur, darauf zu achten, nicht so rüberzukommen wie ein: Arschloch, Analphabet, Asthmatiker, Angeber, Adeliger, Anfänger, Alkoholiker, Affe. Und das sind nur die Worte mit A. Gar nicht so einfach.

Moderator Marcus hat eine furchtbar tolle Radiostimme. Weiß ich aus einem Podcast. Ob er auch das dazu passende Radiogesicht hat, interessiert mich brennend. Und wie das wohl so ist in einem Studio? Ob ich ein Wasser bekomme? Ob es eine Masseuse gibt im Trackbackstage? Ob die mich dann gleich fest einstellen wollen? Fragen über Fragen…

Ich komme auf dem rbb-Areal an. Der Türsteher schickt mich irgendwelche Flure entlang. Nach einer Weile finde ich diesen Fritz. Sein Studio ist größer als gedacht. Es gibt viele Schreibtische und Türen, die zu den einzelnen Aufnahmeräumen führen. Niemand ist da. Also wirklich niemand. Einzig ein Typ – vermutlich Marcus – steht in einem

der Studios. Er signalisiert mir, er würde sich gleich um mich kümmern. Ich setze mich an einen Schreibtisch und studiere die Monitore, Mikros und Knöpfe. Zu gerne würde ich mal wo drücken. Oder flüchten.

An der Studiotür leuchtet ein rotes Ampelmännchen. Stopp – hier wird aufgezeichnet. So langsam rutscht mir das Herz in die Hose. Durch ein Fenster kann ich Marcus on Air beobachten. Er steht in Socken auf dem petrolfarbenen Studioteppich und tanzt zu elektronischer Musik. Außerdem gestikuliert er wild, während er spricht. Marcus ist ein Nerd, wie er im Notebook steht. Er trägt eine schmale, unauffällige Brille und auf seinem rasierten Haupt Kopfhörer, hat Cargohosen und ein graues T-Shirt an. Sein Bart ist irgendwie dreigeteilt. Ob das von alleine so wächst? Ich beschließe, dass Marcus völlig zu recht diese Sendung übers Netz moderieren darf und dass er bestimmt mindestens einem Clan angehört und HTML fließend spricht.

Während eines Songs steckt er den Kopf aus der Tür. ”Du bist bestimmt Judo-Jule”, sagt er. Da war es wieder – dieses “Judo-Jule”. Seit Jahren nicht gehört und doch noch so vertraut. Ich bestätige.
Er würde mich dann nach den News zu sich holen. Ich habe auf einmal sehr viel Zeit…

Ein Mann kommt irgendwo her um die Ecke geflitzt und läuft zu Marcus ins Studio. Er ist verantwortlich für die Nachrichten. Er sieht aber überhaupt nicht aus wie ein Nachrichtensprecher. Eher wie eine Mischung aus Chippendale und Traveller. Seine blonden Haaren fallen ihm bis fast auf die Schultern. Zwischendrin verliest er sich. Beim nächsten Einspieler flucht er deswegen laut. Sekunden später liest er wieder souverän das Wetter, dann geht er nach Hause. Wahn-Sinn!

Ich werde ins Studio gebeten. Ich verliere zwischen Tischen, Computer-Screens und Kabelgedöns sofort den Überblick. Marcus zeigt mir meinen Stehplatz und erklärt Mikro, Kopfhörer und Mischpult. Ich darf sogar an einem Knopf drehen. Ich liebe es, an Knöpfen zu drehen! (Wer mal versucht hat auf einer Party aufzulegen, auf der ich auch zufällig bin, wird wissen, was ich meine.) Ich fühle mich ganz wohl. Nur sagen, sagen will ich wirklich nichts. An der Wand hängt eine Digitalanzeige so groß wie die beim Basketball. Sie zählt diverse Sekunden, zum Beispiel, die, die vor dem Ende des aktuellen Songs noch vergehen werden. Es ist ein Mahnmal. Mir steht das Wasser in den Händen. Ich mache erstmal Fotos.

Marcus zeigt mir die Webcam. Eine Webcam! Im Radio! Muss man sich mal vorstellen! Vorsichtshalber sehe ich während des ganzen Interviews gut aus… Wir stehen uns gegenüber. Ich sehe Marcus kaum wegen der vielen Monitore und Mikros und Spuckschutzkreise.

Während des letzten Songs verwickelt Marcus mich in ein Gespräch. Ich durchschaue sofort, dass er versucht, mir so die Angst zu nehmen. Klappt auch. Der Stock in meinem Hintern scheint sich zumindest ein kleines bisschen zu biegen.

Dann gehts irgendwie los. Der Trackback-Jingle ertönt, Marcus redet etwas über Schreibmaschinen und dann stellt er eine Frage. An mich. Oha. Ich antworte irgendwas und das gilt wohl auch für das ganze Interview. Themen grob: U8, Kühlschränke, Männer, WordPress-Templates, Schreibmaschinen, Facebook.

Beim Thema Deep Package Inspection (oder so ähnlich) rät Marcus mir, mich mal eingehender mit Netzpolitik auseinanderzusetzen. Politik? Netiquette? Datenschutz? Blockupy? Ich will doch nur lustige Dinge schreiben…  (“Hallo, ich bin Deep Package Inspector Müller! Machense mal die Hose auf, junger Herr!”)

Immerhin lacht Marcus zwischendrin, das beruhigt mich. Dabei tritt er vom Mikro weg. Profimäßig finde ich das. Wie früher bei Whitney. Er könnte ja auch vor Langeweile popeln oder angewidert auf den Boden spucken.

Zum Schluss stelle ich noch zwei Blogs vor, die mir am Herzen liegen: Frau Lottes Lotterrr.com und die gute alte Schinken Omi. Dann ist meine Arbeit getan. Ich muss wieder gehen.

Als ich schon fast aus der Tür bin sagt Marcus noch: “Vielleicht schreibst du ja mal ein Buch über Männer.” Und damit hat er natürlich recht. Während er schon wieder etwas dem Mikro erzählt, verlasse ich den Neubau, um noch an der Havel spazieren zu gehen. Dass mich dort keiner nach Autogramm oder Foto fragt, finde ich gut. Die Potsdamer gehen halt respektvoll mit ihren lokalen Stars um.

Wer die fünf Minuten Ruhm, die mich unsterblich machten, anhören will, findet die komplette Sendung im Trackback-Blog. Ich bin die erotische Stimme ab Minute 47.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

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2 Comments

  1. christian

    Sehr schön beschrieben! Und das leichte Zittern in der Stimme merkt man fast gar nicht ;)

    Erstaunlich finde ich allerdings, dass Du Dich an so viele Details erinnerst. Das wäre bei mir alles nach Verlassen des Studios weg gewesen.

    • Jule Müller (Author)

      Ich merke mir gerne Dinge. Und in diesem Fall hat es mich sogar etwas von Schweißschüben und Inkontinenz abgelenkt.

      Danke fürs (Über)Hören (des Vibratos im Stimmchen).

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