Zahnärzte sind nach Desinfektion stinkende, geldgeile Sadisten, die es im täglichen Leben unbedingt zu meiden gilt. Fakt.
(Ausnahme: Schmalli. Auch Fakt.)
Neulich war ich so mutig und machte einen Termin bei einem. Kam auch für mich komplett überraschend. Bei der Abwägung Zahnarztbesuch versus Zahnschmerz gewann aber leider zweiteres den Battle der Emotionen.
Das letzte Mal beim Zahnarzt war ich in England. Mein Ex zwang mich hin. (Weil er auch zu den fiesen Menschen gehörte.) Ich war mir sicher, dass nach vier Jahren der aktiven Verdrängung des Themas ‘Zahnarztbesuch‘ mindestens eine Generalrestaurierung des Kiefers anstand. Der Arzt hatte seine für deutsche Verhältnisse untragbare Praxis in einem Londoner Reihenhaus mit Ekelteppich, typischer Brit-Tapete und welligen Kunstdrucken. Im engen Treppenaufgang blieb ich hinter meinem Ex zurück. Als mir der erste Schwall Zahnarztgeruch in die Nase stieg, schrillte mein Hirn so laut, dass ich mich umdrehen und wieder auf die Straße laufen musste. (Was ist das eigentlich für ein Geruch? Chloroform? Ether? Selbstgebrannter? GHB?)
Ich wusste, dass Verstecken kindisch wäre. Also wartete ich, bis ich abgeholt und an der Hand nach drinnen geführt wurde. Überflüssigerweise fing ich an zu heulen. Der gemusterte Teppich machte mir Angst. Als der Arzt das erste Mal aus seinem Zimmer lugte und mich sah, musste er lachen.
“Promise youre not gonna drill!“, begann ich die Verhandlungen. Er versprach, ich ließ mich untersuchen. Dann bohrte er. Ich überlebte. Und war später das stolzeste Mädchen Ost-Londons.
Damals beschloss ich regelmäßig zu gehen. Das war vor knapp drei Jahren. Vorsätze sind ja da, um sie zu brechen und bei nächster Gelegenheit neu zu fassen.
Ich bin also beim Zahnarzt am Hackeschen Markt. Es ist 20h. Business-Sprechstunde.
Alles ist weiß. Und grün. Und strahlt irgendwie. Es läuft Entspannungsmusik. Es riecht kein bisschen nach Zahnarzt. Wieso nicht? Wird hier etwa nicht ordentlich desinfiziert? Im Wartezimmer blühen Pflanzen von den Wänden. Die Sprechstundenhilfe spricht mit mir als sei sie Therapeutin. Mit sanfter Stimme und furchtbar freundlich. Ich bin nicht beim Zahnarzt, ich bin im Spa. Ehrlich! Alle sehen jung, frisch und irgendwie heiß aus. Kurz bin ich traurig, dass ich mich nicht für den behandelnden Arzt entschieden habe.
Als ich so da sitze und warte sinkt meine Laune auf minus sieben (auf einer Skala von eins bis zehn). Ich stehe auf, laufe hin und her und komme mir dabei selbst komisch vor. Hoffentlich haben die da vorne keine Kamera.
Meine Mutter wurde damals in der Poliklinik in Brandenburg beim Zahnarzt in Massenabfertigungshallen so gefoltert, dass sie total glücklich ist heutzutage überhaupt zu einer menschenwürdigen Behandlung gehen zu dürfen. Ihre Erinnerungen an prähistorische Dentalzeiten ändern an meinen Gefühlen aber nichts. Ich schmeiße ja auch ohne Reue Kartoffelschalen weg, während meine Oma die lieber aufheben würde.
Dann gehe ich aufs Klo. Auch dort läuft Musik, die Handtücher sind sauber gerollt, die Fliesen blitzen. Ich gucke in den Spiegel. Vom Kinn bis tief ins Decolletee ziehen sich dunkelrote Stressflecken. Ich sehe aus wie ein anaphylaktischer Schocker. Bleibt eigentlich noch Zeit zur Flucht? Vielleicht hätte ich die Sprechstundenhilfe am Eingang in einer starken Minute nicht vorwarnen sollen. Ich bin gefangen auf Arztcatraz. Dentophobia The Sequal.
Während ich beim Intimwaxing damals die Vorteile des zu erwartenden Outcomes schon vor der Behandlung konkret benennen konnte, ist das einzige das mir zum Thema Zahnarzt einfällt: Wenn du jetzt gehst, dann könntest du eventuell weniger Schmerzen beim nächsten Besuch haben. Das ist mir nicht konkret genug. Das rechtfertigt das Grauen nun wirklich in keinster Weise.
“Frau Müller bitte?“
Durchatmen. Du kannst jederzeit vom Stuhl springen und die Polizei rufen. Ich gehe in den Raum und setze mich auf den hellen Lederstuhl.
Frau Fleck fragt mich, warum ich da sei.
“Ich will um die Uhrzeit wirklich nicht meckern, aber ich habe Panik“, sage ich, während ich die Geräte auf der Ablage vor mir scanne. „Doll.“
Sie legt ihre Hand auf meinen Arm. “Wir gucken erstmal nach, Frau Müller. Sie müssen keine Angst haben.“
Irgendwie ist sie sympathisch. Kann nicht viel älter sein als ich. Weiß die überhaupt wo sie hinbohren muss? Ich würde lieber mit ihr ein Bier trinken gehen.
Sie guckt mir in den Mund. Ich fühle meine Stressflecken mit jedem Herzschlag aufblinken.
“Ach, sie haben aber niedliche Weisheitszähne. Haben sie die schon mal gesehen?“
“Nein?“ Es ist wirklich schwierig Zähne hinten oben im Kiefer zu betrachten…
Sie nimmt einen Stift mit Kamera und projiziert meinen Backenzahn auf einen 27-Zoll-Screen vor meinem Gesicht.
Als ich das letzte Mal beim Zahnarzt war, hat man noch mit Hammer und Meißel behandelt. Ich bin beeindruckt. Kann ich das Bild gleich per Voice Command ins Netz beamen?
Dann macht sie Fotos von einem kleinen Riss im Schneidezahn, von der Wurzelbehandlung, von der Füllung aus England (“Keine schöne Arbeit.“ – “Dafür aber umsonst.“) und von meinem einseitigen Kreuzbiss. Die Galerie meines Mundes ist wirklich nur mäßig schön. Aber irgendwie auch geil. Hatte ich noch nie gezeigt bekommen.
Jeden Schritt ihrer Untersuchung kommentiert sie ausgiebig. Den Unterschied zwischen Krone und Inlay darf ich sogar selbst an einem Klappergebiss erfühlen.
So schlimm war das im Nachhinein betrachtet alles gar nicht. Vielleicht aber auch nur, weil sie nur geguckt hat.
Wer als erster errät wie viele Zähne genetisch nicht in meiner Orofazialebene angelegt sind, darf mich bei einem der folgenden Termine zum Zahnarzt begleiten: 03.11. um 13:30h, 4.11. um 8:30h oder 9.11. ebenfalls um 8:30h.
Meet & Greet mit Frau Fleck. Good luck!
PS: Suche Zweitjob für ein Inlay.