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Nur für den Klick für den Augenblick. Ein Verzicht auf Facebook.

März 9th, 2012|0 Comments

->  Samstag, 11. Februar

Ich bin bei M. zu Hause. M. benutzt Facebook täglich. Auf seinem Home Screen sehe ich an die 70 rote Notifications glitzern. Sofort überkommt mich der Drang nachzusehen, was sich hinter dem kleinen Tor des Glücks verbirgt. M. selbst bleibt beim Anblick zen-artig unbeeindruckt.

Ich: “Wow. Bei dir geht’s ja ab.”
Er: “Wieso? Was ist das?”
Ich: “Deine Notifications???”
Er: “Ach so. Ja. Checke ich nie.”

Ich lasse das Thema fallen. Das muss ich erst verdauen. Es gibt also Menschen, für die Benachrichtigungen keinen Punkt darstellen, der sofort und ohne Umwege vom Mauszeiger angepeilt werden muss? Resistenz gegen den schlimmsten Schlüsselreiz der Neuzeit? Ich bin beeindruckt und fühle mich schwach zugleich.

 

->  Mittwoch, 15. Februar

Ich habe ein neues Facebook-Plugin. Es ist eventuell ethisch fragwürdig, aber so lange nur ich es habe, sehr brauchbar. Ich kann sehen, wer sich wann de- und reaktiviert oder mich komplett aus der Liste der Freunde löscht. Erst durch dieses kleine Tool wird mir bewusst, dass sich einige Menschen in der einen Woche abmelden und in der nächsten wieder zurückkommen. Vielleicht ist die vorübergehende Deaktivierung ab und zu sinnvoll? Beim Gedanken daran beginne ich unter den Armen zu schwitzen. ‘Ich könnte natürlich jederzeit abschalten. Ich möchte nur gerade nicht.’ Hmm, genau…

 

->  Sonntag, 19. Februar

In einem Café treffe ich F. Dieser beklagt sich über seine kurze Aufmerksamkeitsspanne und den minütlichen Drang das Telefon zu checken. Lernen ist überhaupt nur noch in einer öffentlichen Bibliothek möglich. Mir geht es ähnlich. Da ich in diesem Café schreiben möchte, lasse ich mir bewusst nicht das Wifi-Passwort geben. Ich bin nicht stark genug an einem Rechner zu arbeiten, an dem auch ein Facebook-Fenster studiert werden könnte. Trotzdem ertappe ich mich etwa alle fünf Minuten dabei, wie ich auf dem Touchpad in Richtung Chrome unterwegs bin. Kurz vor Klick merke ich, dass ich eh kein Internet habe. Ein Gedanke, der Unbehagen auslöst. Jetzt nicht mein Handy zu missbrauchen, verlangt mir alles ab.

 

->  Montag, 20. Februar

“Ich muss mehr Yoga machen und weniger Facebooken”, schreibt mir C. Sie zieht das Thema Deaktivierung schon seit einiger Zeit in Betracht, traute sich aber nie. In einer starken Sekunde schlage ich vor, dass wir es einfach tun. Yoga gegen Facebook. Ob ich es ernst meine, weiß ich selbst nicht. Dann schickt C. mir einen Screenshot von ihrer Abmeldebestätigung. Es ist zu spät. Ich muss nachziehen. Jetzt nicht nachdenken, sondern einfach machen.

Das Deaktivieren ist komplizierter als erwartet. Ich muss meine Gruppen und Seiten anderen Administratoren und meine Apps anderen Developern anvertrauen, mein Passwort eingeben, bestätigen, verdrehte, komplett unleserliche Buchstaben identifizieren und nachtippen. Außerdem werden mir Bilder von meinen engsten Freunden vorgesetzt. “Annelie Jasmin wird dich sicherlich sehr vermissen.” Die Schweine, ey. Je länger der Prozess dauert, desto weniger möchte ich es durchziehen. Aber ich schaffe es. Ich klicke den finalen Button in die Einsamkeit. Und zack – raus bin ich.

Eine Weile starre ich auf den Bildschirm. Ich habe es wirklich getan. Hätte ich jemandem bescheid sagen sollen? In einem umnachteten Moment denke ich tatsächlich: ‚Ich könnte es bei Facebook posten!’
Ach nein. Könnte ich nicht.
Nicht, dass jetzt 600 Leute denken, mir sei etwas zugestoßen. Ob es überhaupt jemand merkt? Ob jemand mir schreiben oder mich stalken will? Ob jemand mitkriegt, dass etwa die Hälfte aller Fotos im Netz verschwunden sind? Ob jemand meinen Namen in einem Kommentar verschlagworten möchte und dann denkt, das @ sei kaputt?

Später schreibt mir A. bei Whatsapp: “Jule, was hat es mit deinem FB Hiatus auf sich? Schick mir ne Mail.” Im selben Moment schreibt auch J.: “Wasndalos???” Dann flattert eine Email von R. rein: “Sag mal, spinnst du?”
Ich bin ruhig. Innerlich. Den Rest des Tages klicke ich nur einmal auf den Browser, um sofort zu merken, dass es dort nichts Spannendes gibt. Das Foto von H. und mir beim Lunch würde ich gerne posten. Ich verschiebe es auf nach meine Rückkehr.
Abends esse ich Brote, während ich in der Kinderbibel blättere. Dann wasche ich ab, mache eine Runde Yoga und bespreche vegane Kuchenrezepte mit C. Um halb elf bin ich abgeschminkt und im Bett. Da ich nichts mehr bei Facebook zu checken habe, schlafe ich einfach sofort ein. Dingdingding Jackpot?

 

->  Dienstag, 20. Februar

Mein Handyakku hält und hält und hält. Ich nehme das Telefon morgens von der Steckdose und haben ABENDS IMMER NOCH STROM! Ich fühle mich wie zu Zeiten des Nokia 3310. Es eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. Vielleicht übernachte ich sogar mal woanders?

 

->  Mittwoch, 22. Februar

Ich sitze vor dem Laptop. Aus Ermangelung an sinnvollen Tätigkeiten eröffne ich ein Tagesgeldkonto und überweise mir selbst feierlich 100 Euro. Über die werde ich mich mal sehr freuen, wenn ich 50 und arbeitsunfähig bin. Und wo wir schon mal beim Thema Geld sind, könnte ich auch gleich noch welches ausgeben. Ich gehe zu Amazon und klicke eine Yogamatte, einen Bauchmuskeltrainer (wtf?) und eine elektrische Zahnbürste in meinen Einkaufswagen. Gewöhnlich besuche ich vor dem Amazon/Asos/Zalando-Checkout noch mal Facebook, werde abgelenkt, in ein Kommentarfeuerwerk verwickelt und der Kauf kommt nie zustande. Jetzt ist alles anders. Bauchmuskeln – here I come!

 

->  Donnerstag, 23. Februar

“Facebook ist kaputt. Ich kann dir nicht schreiben.” Mir fällt auf, dass die Unerreichbarkeit meiner Person auf Facebook eher auf ein Versagen der Technik zurückgeführt wird, als darauf, dass ich freiwillig auf mein Profil verzichtet haben könnte. Zweiter Gedanke der Verlassenen: Die muss ein psychisches Problem haben. Wahrscheinlich wurde sie gerade von nem Typen betrogen und steht kurz vorm Suizid, der nur noch durch eine Facebook-Abstinenz umgangen werden kann.

 

->  Freitag, 24. Februar

Ich sitze ich mit R. in einer Bar. Ich nehme mein Handy, um einzuchecken. Da ich betrunken bin, dauert es einen Tick zu lange, bis ich merke, dass das keine Option ist. Ich suche Trost im Alkohol. Wird eine Sucht immer durch eine andere abgelöst? Heroin vom Methadon, Rauchen vom Fressen und Facebook vom Saufen?

 

->  Samstag, 25. Februar

Der Versuch einen Verlassenen zu beruhigen. Konversation mit L. Per SMS:

L.: „Bist du wirklich weg von Facebook? Mir wird sofort schlecht.“
Ich: „Ich teste momentan meine Grenzen aus – Yoga, Tagesgeldkonto, Facebooklosigkeit, Steckrübenpüree. Vielleicht hilfts ja bei irgendwas. Und mal unter uns: Ich bin bald zurück. Man kann mir alles nehmen – Geld, Wohnung, Freunde – aber bei Handybilder des Grauens hörts echt auf.“
L.: „Ein Glück! Mir geht’s nämlich genauso. Wie kam es bloß zu diesem Schrecken? Thrill? Der Kick für den Augenblick? Verlustangst?“
Ich: „Mischung aus „über was soll ich bloß bloggen?“ und „die Leute nerven mich“ und „ich bin extrem süchtig – hupsi.“ Erstaunlicherweise dreht sich die Welt noch.“
L.: „Letztens hatte ich was Lustiges auf Facebook gestellt. Das hast du voll verpasst. Na dann schicke ich dir immer eine SMS, wenn was Gutes war. Keine Angst, kommt nicht so oft vor.“

 

->  Sonntag, 26. Februar

Mir schmerzt die Schulter. Ich benutze ein Rheumapflaster. Das macht alles nur noch schlimmer. Außerdem habe ich Hunger und die Küche sieht aus wie Sau. Ich will Mitleid. Das kriegt man im echten Leben ja nur auf Facebook. Jetzt ein paar Likes auf einen beliebigen Status… Ich rufe meine Mutter an. Auch okay.

 

->  Montag, 27. Februar

Heute ist meine selbst auferlegte Suchtbekämpfungsmaßnahme eigentlich beendet. Es war eine erholsame Woche. Ich habe viel geschlafen, mit Menschen telefoniert, es geschafft eine Massenmail ohne Facebook zu versenden, der Welt Strom gespart und in der Bahn Zeit gehabt, die Menschen um mich herum verachtend zu mustern. Irgendetwas hält mich davon ab mich wieder einzuloggen. Ich verschiebe die Rückkehr auf morgen.

 

->  Dienstag, 28. Februar

Ich tu es einfach. Ich logge mich wieder ein.
Nein, ich werde jetzt nicht die sieben letzten Tage runterscrollen. Nein, ich werde nicht sofort alle Bilder posten, die in meinem Handy warten. Nein, ich werde keine Rundmail schreiben, dass ich wieder zurück bin und Gefahr laufen zu erfahren, dass es eh niemand gemerkt hat.
Zwei Minuten später habe ich Posts auf meiner Wall, Mails im Posteingang und die Notifications leuchten wieder verführerisch. Meine Freunde schmeißen mir eine virtuelle Willkommensparty. Ich bin gerührt.

Fazit: Facebook ist schlecht für die Aufmerksamkeitsspanne, ist verantwortlich für die Verkrüppelung sozialer Kompetenzen, hält von den wichtigen Dingen ab, verkürzt die Lebenszeit aufgrund des erhöhten Stressaufkommens, konditioniert das Gehirn und den Daumen auf absurde Weise, begünstigt Stalking, Mobbing und Online-Pädophilie – und ich würde nicht darauf verzichten wollen. Wir sehen uns drüben.

Alles Liebe, eure Mutter.

 

PS: Supportet meine Sucht mit einem Like auf www.facebook.com/MyMagicTypewriter

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