Ich sitze mit Pukki, Ralli und Locke im Auto von Essen nach Gelsenkirchen. Wir gehen auf Schalke, den Fußballclub des einfachen Mannes. Ich verstehe Fußball zwar nicht, aber die Idee, zwei Stunden lang verkatert und bei Regen zwischen 62.000 rotzeblauen Ruhrpott-Originalen im Stadion eingeklemmt zu sein und einen Ball anzuglotzen, gefällt mir richtig gut.
Bild: Merch aus 100% Polyester? Läuft.
Ich habe selten etwas Merkwürdigeres gesehen als die Schalker Meile, einer Gelsener Hauptstraße, die in das Vereinsblau gehüllt ist. Da gibt es eine Schalke-Polsterei, eine Schalke-Bushaltestelle, Schalke-Laternen, Bäume, -Banner und das bei Hools allseits beliebte Lokal »Gelsen-Szene«. Vor der örtlichen Kirche sind riesige Schalke-Fahnen aufgezogen. Klar. Zu Gott wird hier sicher nicht so oft gebetet wie zum FC S 04.
Bild: Krass. In Gelsenkirchen sind sogar die Parkplatzschilder in den Schalker Vereinsfarben gehalten.
Bild: Im Schatten des Stadions kaufen wir bei Moni Currywürste mit Darm, ohne Brötchen und passend zur Location ein paar Veltins. Es ist schweinekalt.
Pukki drückt mir ein Ticket in die Hand. »Einlass nur für S04 Fans«, lese ich darauf. Ich trage zwar ein Trikot, fühle mich aber trotzdem wie ein Betrüger. Hoffentlich merkt keiner, dass ich für den Verein im Notfall gar nicht unbedingt sterben würde, wie es die Fanlieder vorschlagen.
Bild: Beim Bodycheck werde ich erst von den Männern getrennt und dann meines Deodorants entledigt. Frechheit!
Die Veltins-Arena ist gigantisch. Die Spieler machen sich gerade warm, wir suchen uns Plätze, es läuft »Eye of the Tiger«. Das kenne ich schon vom Boxen. Erwin, das nasige Maskottchen des Vereins, schlawenzelt wild winkend zum Fuße der Nordkurve auf und ab.
Bild: Ralli checkt erst mal Grindr. Ich hoffe, dass wir nix aufs Maul kriegen.
In der Nordkurve gibt es keine Sitzplätze, nur Stufen. Dicht an dicht drängen sich die blauen Fans. Vom Rest des Stadions ist die Kurve mit hohen Trennwänden abgeriegelt, ein riesiges Netz schützt Tor und Spielfeld vor Wurfgeschossen aus unseren Rängen. Direkt hinter dem Tor stehen die treuen Fans mit ihren überdimensionalen Fahnen. Am anderen Ende der Arena hocken 4000 Bremer als grüner Punkt gut geschützt in einer Ecke rum und versuchen, den Rest der Welt zu übertönen.
Bild: Ein Vortrommler koordiniert die Gesänge unserer Fankurve. »VorwärtsSchalke, schießt ein Tor, schießt ein Tor, schießt ein Tohohooor.« Schnell sind Ralli und ich textsicher.
Auf den Werbebannern wird neben anderen gängigen Fleischereigütern auch Bärchenwurst angepriesen. Ich gucke mich um und bin überzeugt, dass ungetoastetes Weißbrot, Bärchenwurst und Senf hier zu den Grundnahrungsmitteln gehören. Locke bestätigt. Gelsen-Style.
Bild: »Olé, olééé. Olé, olé, olééé. Der FC Schalke Null Vier, der FC Schalke Null Vier, der FC Schalke Null Vieeeer.« Dieser Ohrwurm wird mir noch ewig erhalten bleiben.
Ich habe Fußball schon im Fernsehen geguckt. Ich kenne Menschen, die sich dabei mal ärgern, mal freuen und ab und zu “wenn er rauskommt, muss er ihn auch haben” sagen. Das hier ist ein völlig anderes Emotionslevel. Die jungen und alten Männer lassen ihre Blicke keine Sekunde vom Ball schweifen. Aus der Ferne erkennen sie Fouls, Schwalben und ein zu Unrecht gepfiffenes Abseits. Ich beobachte lieber die Reaktionen der Fans. Fans mit Kutten und Schals und Biermetern und Schnupftabak und Frisuren. Fans, die ihre Fäuste in die Luft strecken und Lieder vom »Sieg« singen. Der Ruhrpott lebt. Heute sind hier alle derselben Meinung: Der Schiri mit Doktortitel kann nicht ordentlich pfeifen, der Neustädter muss dringend ausgewechselt werden, Schalke müsste längst führen.
Bild: Keine Kutte, keine Competition.
Das 1:0 für Bremen ist ein harter Rückschlag. Fassungslosigkeit brennt sich in die Gesichter um mich herum. »Boah, dann spring doch hoch, du Birne«, brüllt einer hinter mir. Ralli und ich prophezeien eine starke zweite Halbzeit. Aus der Reihe vor uns kriegen wir Zuspruch. Ich fühle mich richtig integriert. Man nimmt meine Meinung hier ernst. Ich klopfe Pukki auf die Schulter. »Glück auf, Junge.
Natürlich behalten wir Recht. Neuzugang Kevin Prince Boateng legt den Ausgleichstreffer ins Tor. Es wird gebrüllt. Blitzschnell ziehe ich meine Kapuze auf, um mich vor den fliegenden Bieren zu schützen, dann brülle ich auch. Und hüpfe und umarme voller Adrenalin irgendwen mit einer Kombi aus Afro und geflochtenem Zopf. Dann geht es weiter. Wir machen noch zwei Tore. Ich bin voll drin. Ich liebe Fußball.
Bild: Heute bin ich mit 58.000 Freunden zusammen. Heute bin ich Schalke. Heute bin ich glücklich.
Am Ende der zweiten Halbzeit habe ich Gänsehaut, ein Mann neben mir Tränen in den Augen. Ich wünschte, ich könnte auch an etwas so sehr glauben, wie diese Jungs an Schalke. So sehr, dass sich manche von ihnen gleich mit den Bremern auf einem Feld hinter dem Stadion treffen, um das Spielergebnis noch mal nachzubesprechen. Fan gegen Fan, Faust gegen Faust. Hach. Meine Liebe, mein Verein.
Dieser Text erschien auch im Intro-Magazin.
Alle meine Intro-Texte gibt es hier.