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Seitensprünge auf offener Straße – das Interview

Oktober 16th, 2011|0 Comments

Ich lerne Julia in Familie Pohlmanns Wohnzimmer in Köln kennen. Nach einer durchfeierten Nacht liegt sie in ihren Klamotten auf einer Art Matratze. Am Boden neben sich ein Junge. Vorsichtshalber mache ich von den Fremden ein Foto. Man weiß schließlich nie, wann man einen von denen mal erpressen interviewen muss.

Julia ist ein eher derber Typ in einem unfassbar weiblichen Körper: langes, volles Haar, dicker Eyeliner, der auch am Morgen noch perfekt sitzt, Blümchenbluse, Dekolletee, goldener Gürtel, enge Hose, Highheels. Ich weiß nicht, ob es an dem rauen, verkaterten Morgen liegt, aber ich erkenne sofort: Mit der Frau macht man keine Faxen. Die schlägt knallhart zu, wenn ihr ein Gesicht nicht passt. Ich finde sie toll, sie entertaint die Runde, während Rührei und Cola zum Frühstück serviert werden. Julia hat man besser als Verbündete, denke ich, als ich ihr so zuhöre. Als Feindin taugt sie nichts.
Auch nicht als Gast in der eigenen Wohnung. Eine der wenigen Geschichten (oder soll ich sagen ‘Legenden’), die ich über sie aufschnappe, ist die, wie sie spontan samt Kühlschrank in die Mitte einer gediegenen Hausparty fällt. Ich zweifele nicht eine Sekunde daran. Julia hat auf jeden Fall lieb einen an der Waffel.

Über einer Gemeinsamkeit bonden wir dann einen Monat später online: Sie ist angesichts eines Exfreundes mal hinter ein unpassendes Objekt gesprungen, um sich zu verstecken.
Wie ich einst. Einer der wenigen Momente im Leben, wo man sich ernsthaft über eine spontane Selbstentzündung freuen würde.

Ich gebe dem öffentlichen Druck (Töff, Töff) nach und beschließe, sie zu dem Thema zu befragen. Gehören Julia, Carrie Bradshaw und ich zu einer Randgruppe? Wie hoch ist die Dunkelziffer? Passiert Männern das auch? Wie kann man sich schützen?

Ich habe so viele Fragen…

 

Julia, ich habe dich als junge, selbstbewusste, ich möchte meinen tabulose Frau kennengelernt. Dass du dich vor Menschen verstecken möchtest, kommt mir komisch vor. Bitte erzähle mir von deinem Schlüsselerlebnis am Fahrstuhl.

Es war ein merkwürdig sommerlicher Wintertag. Ich war gerade in eine neue WG gezogen. Die Bude war super und ich hatte extrem gute Laune. Ich schmiss mich in meinen neu erworbenen, total pimp-mäßigen Kunstfellmantel mit dazu passender, viel zu großer Sonnenbrille, um mich rumzutreiben. Ich ging die Straße hinauf, bog um die Ecke, mit einem Lächeln auf dem Gesicht (ich hatte wirklich richtig gute Laune), da erblickte ich auf derselben Straßenseite einen Freund von Mr. X, daneben eine Frau mittleren Alters (aha…das ist bestimmt seine Mudda!) und ey…smarter Typ daneben. „Geile Sneakers“ dachte ich noch, Kapuzenpulli… scheiße… Exmacker!
Erste Reaktion: Sofort Umdrehen, kehrt machen und in die entgegengesetzte Richtung marschieren.
Schnell! Absolute Reflexhandlung.
Naja, ich glaube davor ist mir das Gesicht noch kurz entglitten –  in sämtliche Richtungen.
„Oh Gott…wohin?“ war die Frage. Ich sprang hinter den Fahrstuhl, der zur U-Bahn hinunterführte. Er war gläsern. Sehr ungünstig. Ich wandte mich von der Straße ab. Mit der einen Hand an der Sonnenbrille, der anderen in der Manteltasche starrte ich auf den Boden. Wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht.
Kurz überlegte ich noch, die Treppen zur U-Bahn runterzurennen, „aber was ist, wenn er genau da hin will?“ Wild gestikulierend und vertieft in das Gespräch mit seinen Begleitern ging der Kelch in Form meines Verflossenen an mir vorüber.
Er hatte mich nicht bemerkt.

Sonnenbrille und Pelzmantel. Das passt zu dir. Vermutlich warst du weder in Sankt Moritz, noch auf dem Kölner Karneval oder als Edelnutte auf der Reeperbahn unterwegs?

Es war bei mir um die Ecke. Der Nebeneffekt der neuen, unglaublich geilen Wohnung war, dass ich in seine Hood gezogen bin. Ich bin quasi in sein Territorium eingedrungen und hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt nie damit befasst, dass wir uns ja doch mal über den Weg laufen könnten.
Was ich bis heute nicht verstehe ist, dass ich echt gut aussah an dem Tag und mich auch so richtig gut fühlte. Kommt ja immerhin in so komprimierter Form nicht alle Tage vor. Ich hätte ja auch in Joggingbuchse rumschlurfen können, mit Augenringen bis unter die Achseln. Es war tatsächlich Zufall, dass ich an dem Tag in Topform war und Bock hatte mich aufzumotzen. Ich trug sogar roten Lippenstift – Mitten in der Woche… Woohooo!
Ich hab mich hinterher auch noch tierisch geärgert, dass ich die Gelegenheit nicht genutzt habe, ihn mit meiner unglaublich guten Laune und meinen Sexappeal zu bombardieren…das wäre ja eigentlich das perfekte Treffen mit dem Ex gewesen! Damn!!!

War dir schon im Moment des Versteckens bewusst, dass dein Verhalten irgendwie sozial grenzwertig rüberkommen könnte?

Nein, es ging alles so schnell… Aber als ich dann die Straße weiter entlang ging, kam ich mir vor, wie in einem cheesy Highschool-Streifen. Ich hatte mich auch noch kurz umgeschaut, ob mich jemand anderes gesehen hat. Als ich später meiner Mitbewohnerin davon erzählte, die sich natürlich köstlich darüber amüsierte, blieb mir auch nur eins zu sagen: „Oh man, wie panne!“

Ich hatte sechs Jahre lang ein schlechtes Gewissen. Als ich dann mit meinem Ex darüber sprach, könnte er sich gar nicht daran erinnern. Ich war zugegebenermaßen ein wenig enttäuscht, aber hauptsächlich erleichtert. Wie ist es dir bis heute ergangen? Wie lebst du mit der schmerzlichen Erinnerung? Steht ihr noch in Kontakt?

Tatsächlich habe ich die Sache, bis ich deinen Post bei Facebook gelesen hab echt verdrängt!
Ich habe ihm bisher nicht davon erzählt. Ich denke, das bleibt auch vorerst mein kleines Geheimnis. Wir sehen uns gelegentlich, meist aber auf irgendwelchen Partys und dann hat er meistens auch seine neue Schnalle im Schlepptau. Gelegenheiten, in denen man entspannt quatschen kann, sind eher selten. Ich hätte kein Problem damit, ihm von der Nummer zu erzählen, ist ja auch eigentlich echt witzig, aber dafür müsste er dann noch nen Schnaps für mich springen lassen.

Was würdest du anderen Frauen in so einer Situation raten? Kopf hoch, Brust raus und die Flucht nach vorne wagen? Oder doch eher die schmale Chance nutzen, die Bäume, Laternen und Dinge aus Glas eventuell bieten?

Eigentlich bin ich immer für „ nach vorne gehen“. Bis heute verstehe ich nicht, was da eigentlich passiert ist. Mein Gehirn hatte einfach einen kurzen Totalausfall. Rückblickend hätte ich gerne anders gehandelt, deswegen würde ich sagen: Mach den obersten Knopf  deiner Bluse auf, schwing dein Haar und geh ihm auf den Sack mit deinem unglaublich umwerfenden Charme!
Andererseits kommt es natürlich immer drauf an, wie die Sache auseinander gegangen ist und ob man da noch emotional drin steckt. Wer will denn schon vor dem Ex ein Trauerkloß sein? Dann doch lieber der Clown, der nen Köpper ins Gebüsch macht. Reden ist zwar ne gute Sache und ehrlich sein auch, aber wenn du keinen Bock auf Konfrontation hast, mach die Biege. Handle so, wie du dich fühlst. Lass dir gesagt sein, du bist nicht die einzige, die sich zum Liebeskasper macht!

Eine letzte Frage. Bist du gerade in einer Beziehung?

Nö. Nicht, dass es keine guten Partien gäbe, nur hat es von denen noch keiner geschafft, das ich für ihn in die Hecke springe!

Danke für deine Zeit, Julia. Ich weiß, es ist nicht einfach mit einer solch traumatischen Story an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich bin stolz auf dich.

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