image

Alles Klarinette? Die Kunst der Elfe Martin Fröst.

September 20th, 2011|0 Comments

Ich sitze in diesem unfassbar tollen Gebäude am Hafen von Reykjavik, erste Reihe, Rang. Draußen fegt ein Orkan über die Stadt. Ich bin komplett nass, weil die Isländer sich weigern Regenschirme zu benutzen und ich nicht gewagt hatte, mich dieser ungeschriebenen Regel zu widersetzen. Der Saal ist warm erleuchtet und bis unter die Decke gefüllt. Auf der Bühne sitzt das riesige Orchester und stimmt seine Bratschen und Oboen. Nicht, dass ich diese Instrumente eindeutig bestimmen könnte – nach Gong und Geige hörts bei mir schon auf.

Das Programmheft ist auf isländisch, ich gucke mir die Bilder an. Mozart, Tschaikowski – wenigstens habe ich davon schon mal gehört. Mein Sitznachbar MALCOLM KENNETH FRASER (auf eigenen Wunsch hin hier namentlich und in fett erwähnt) erklärt mir bereitwillig den Unterschied zwischen den beiden Sinfonien. Auch sonst ist er sehr hilfreich. Was ist dieses goldene Instrument da? Warum braucht man überhaupt einen Dirigenten? Was steht auf den Notenblättern? Warum tragen alle Frauen Röcke? Wann darf ich husten? Muss ich husten?
Ich hatte so viele Fragen…

Harpa, Reykjavik.

Nach dem Opener machen wir uns an Mozart. Das Orchester sitzt, der Dirigent (Dudamel, oh Dudamel) betritt die Bühne mit einem jungen Mann in grauem Anzug. Dieser positioniert sich mittig zwischen Dirigent und erster Geige. Im Gegensatz zu allen anderen hat er keinen Notenständer. Dafür aber ein mir unbekanntes Instrument. Eine Klarinette – wie mir erklärt wird. Zunächst fällt mir nichts Besonderes auf. Dann beginnt die Musik – leicht, leise, langsam.
Der Solist – Martin Fröst – wiegt sich mit geschlossenen Augen hin und her. Links, rechts, links. Dabei hält er seine Klarinette wie eine steife Tanzpartnerin. Ich verfolge ihn gespannt.
Als das Stück an Fahrt aufnimmt, fängt er an, in seinen gewaxten, spitzen Lederschuhen leichtfüßig zu tippeln. Dabei verzieht er seinen Mund auffällig, benetzt dann seine Lippen mit frischem Speichel und pustet in das Mundstück. Innerhalb von Minuten, während er weiter auf der Bühne tänzelt, färbt sich sein Gesicht in einem satten Karminrot – schöner Kontrast zu den platinblonden Haaren. Er erinnert mich an Oliver Pocher. Ich schäme mich fremd und gucke mich um, um rauszufinden, ob die anderen auch lachen.
Alle todernst.
Okay, das ist keine Parodie, das gehört sich so als Solo-Klarinettist.
Ich fühle mich wie beim Yoga, wenn jemand laut gefurzt hat und man nicht lachen darf, um keine weitere Unruhe in die Entspannung zu bringen. (Randnotiz: Mir noch nie passiert, weil ich noch seltener als zu klassischen Konzerten zum Sport gehe.)

Martin Fröst

„That’s one of the best klarinet soloists in the world“, wurde mir vor Beginn des Solos erzählt. Ich kann mich gar nicht auf die Musik konzentrieren, weil ich nur fasziniert diesen Kerl anstarre. Er scheint die Musik wirklich zu fühlen. Ich hoffe, dass die anderen auf dem Rang denken, ich würde lächeln, weil mich das Konzert so packt.
Eigentlich lächle ich, weil mich die tanzende Elfe in der Mitte so gut unterhält. Irgendwie eine Mischung aus einem schwulen Rumpelstielzchen und Stefan Mross auf Pille.

Sein grauer, gechinzter Anzug ist viel zu eng, vor allem im Schritt. Zu allem Übel wiegt er sein Becken auf und ab. Trockensex mit einem Instrument, dessen Ende ihm irgendwo zwischen seinen X-Beinen hängt.
Martin Fröst

Seine Beine sind eh ein Hingucker. Die Arbeit in dem Bereich vorzüglich. Ist so ein bezauberndes Bewegungstalent angeboren oder steckt da ein Choreograf dahinter? Dieser Musiker ist laut meiner Einschätzung der schwedische Lord of the Klarinetten-Dance.

Am Ende des Solos tobt das Publikum vor Euphorie – „Bravo!“, wird rechts neben mir geschrien, mein linker Nachbar steht anerkennend auf.

Mir wird bewusst, dass dieser Typ, der sich auf seiner Instrument hier gerade mächtig einen runtergefidelt hat, eine Koryphäe auf seinem Gebiet ist. In einer Mischung aus Verwunderung und Anerkennung steige ich in die Standing Ovations mit ein.
Und behalte meine Gedanken zur homoerotischen Performance einfach für mich.

Tags: , , , , , , , , ,

Leave a Comment