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47 Minuten im Berghain

September 19th, 2013|0 Comments

»Und ich dachte schon, die Schlange bei Mustafas Gemüsekebab sei lang!« Ich stehe mit Alex vorm Berghain. Kurz bin ich versucht, Wasser und proteinreiche Energieriegel an die Wartenden zu verteilen. Aber was kümmern mich die anderen: Hauptsache wir stehen auf der Gästeliste. Der Türsteher sieht das nicht ganz so und will uns auf seinem Klemmbrett partout nicht finden. In einem Anfall von Selbstüberschätzung sage ich: »Sie werden sich vielleicht erinnern, ich war vor sieben Jahren schon mal hier. Mit Bunny und Sunny.« Dabei gucke ich ihm direkt in die Augen. Er knurrt mich zurecht an. Nach langen vier Minuten Diskussion lässt er uns endlich rein. Glück gehabt! Sonst wäre mir noch das Berghain entgangen!

Eine burschikose Frau im Eingangsbereich befummelt erst meine Tasche und dann meinen Körper. »Haste ne Kamera dabei?«, will sie wissen. Habe ich ausnahmsweise nicht. Aus meiner Handtasche zieht sie mein Telefon. »Wenn du Fotos machst, fliegst du raus«, schnauzt sie mich pro forma schon mal an. »Ja klar. Wenn Sie mich so freundlich darauf hinweisen … Schön haben Sie es hier übrigens. Und wie viele Leute Sie jeden Tag kennenlernen … Toll! Falls Sie mal in Neukölln sind und Lust auf einen Kaffee haben, melden Sie sich doch. Sie wissen ja inzwischen, wo ich wohne. Hihi!«, denke ich und gehe schnell weiter. Aus einem Fenster heraus haut mir jemand so wuchtig einen Stempel auf den Arm, als wolle er ihn dauerhaft dort platzierten. Oder hätte zumindest Spaß am Leid Fremder.

Nachdem wir unsere Sachen abgegeben haben, stehen wir im Innern der Fabrik. Hier herrscht das fortgeschrittene Luftfeuchtigkeitslevel »Bangkok nach einem Sommerregen«. Ich greife meine Ohrstöpsel und brülle Alex zu, dass ich Angst hätte und vielleicht doch einfach zu alt sei für Technoclubs. Er zieht mich an der Hand vorbei an ledernen Männern (weniger ist mehr), Eis essenden Mädchen und verschmutzten Tänzern. Hätte ich doch bloß mehr getrunken! Wie konnte ich mich nur so fahrlässig wenig besaufen? Ich meine: ein Drink? Für die Pannebar? Hallo? Wir hechten Stahltreppen hinauf und dann durch die Menge zur Bar. Alle um uns herum trinken Wasser. Ich bestelle widerwillig einen Wodka Cranberry und habe ab sofort keine Hand mehr frei – die eine hält den Drink, die andere hält den Drink zu. Am Ellenbogen schleift Alex mich weiter zum Mischpult. Erste Reihe. Na klar! Warum auch nicht.

Ich sage Linda und ihrem Diskogesicht hallo und werde mit einer Runde Augenbrauen-Breakdance belohnt. Es ist so schrecklich, dass ich kaum hingucken kann. »Welchen Tag haben wir?«, fragt sie. »Sonntagmorgen«, antworte ich, Linda hört aber schon nicht mehr zu. Ist ja auch egal. Es ist der Tag zwischen Freitag und Montag – mehr muss man nicht wissen. Apropos! Ich gucke auf die Uhr. Schon neun Minuten hier. Wow! »Wir bleiben aber nicht sooo lange, oder?«, frage ich Alex. »Wieso? Die Musik ist doch super!« – »Ach?”, hake ich nach. »Ja. Falls dich jemand fragt: Die Musik ist super.« Ich nicke. Falls ihr euch übrigens fragt: Die Musik war super. #carlosdebrito

Während ich versuche keine Nackten zu berühren, tänzele ich mit meinem Drink auf der Stelle herum. Dabei bestaune ich vom Dancefloor das Panorama der gefühlt Tausenden Wartenden vor dem Club. »Wie viele Leute passen hier rein?« – »Circa dreitausend? Im Durchlauf?«, schätzt Alex. 3000 Leute mal 3 Tage mal 14 Euro minus Sven Marquardts Gage … Das macht in etwa … Also Pi mal Daumen … Da muss man ja Punkt vor Strich … Ach verdammt, kann ich nicht rechnen, aber: viel Geld!

Beeindruckt stelle ich meinen leeren Drink am Fenster ab. Ein kleiner, vielleicht italienischer Mann tippt mir auf die Schulter. »Kennst du Olli?« Ich schüttle mit dem Kopf. »Willst du mit auf die Toilette kommen?«, fragt er weiter. Jesus Maria, kann man denn nicht ein Mal gemütlich im Berghain zu Techno tanzen wie man es so liebt?? »Nee, ich war gerade schon pinkeln«, lüge ich und gehe zurück zu Alex.

Nach 47 Minuten ist der inzwischen auch endlich am Ende mit den Nerven. Es ist ja auch schon drei Uhr durch! Wir machen einen Polnischen (als würde es jemandem auffallen), schlendern vorbei an der immer noch kilometerlangen Schlange und steigen ins Taxi.

Zu Hause wühle ich auf meiner externen Festplatte. Unter > Eigene Bilder > Berlin > 2006 werde ich fündig: ein gestochen scharfes Bild aus der Panoramabar:

Intro_Kolumne_Jule_Müller_Berghain

Ha! Pannebar, nimm das!

 

Dieser Text erschien auch im Intro-Magazin.
Alle meine Intro-Texte gibt es hier.

Außerdem interessiert dich noch: meine Nacht im Kater Holzig,
die Gay Night im Weekend
und die älteste Disko Deutschlands.
Klar.

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