Ich habe es nicht so mit dem radfahren. Da ist schon was in meiner jugend schiefgelaufen. Bei meiner fahrradpruefung fuhr ich ueber eine rote ampel und wurde sofort disqualifiziert. Ich fand das als achtjaehrige sehr ungerecht – vor allem weil niemand sonst wiederholen musste. Der wimpel, den ich spaeter dann doch noch erhielt, strahlte zwar genauso schoen wie die der anderen, aber fuer mich war die sache gelaufen.
Jahre spaeter bin ich nun in berlin. Und arbeitslos. Das bedeutet in etwa, dass ich kein geld habe fuer extravaganzen wie u-bahn-fahren. Ausserdem muss ich ja sparen, um feiern und verreisen zu koennen. Cathi geht das aehnlich. Cathi mag fahrraeder. Deswegen kaufte sie sich eins und zwang mich aus diesem anlass auch gleich dazu. Unsere drahtigen esel fanden wir an einem sonnigen Dienstag auf dem tuerkenmarkt – oder politisch korrekter – dem markt am maybachufer. An einer bruecke standen zwilichtige gestalten und sagten dinge wie:
“Ksssst- braustu fahrrad?”
Brauchten wir. Laut cathi zumindest. Wenn man die geschaeftigen tuerken nach einem gruenen rad mit pinken sternen und bommeln am lenker fragte, dann verschwanden sie kurz und brachten einem ein passendes modell. Ich entschied mich fuer ein metallic-blaues gefaehrt mit weissem tribal-tattoo. Ich fand, was ich ueber meinem arsch an geweih zu wenig hatte, sollte mein rad ruhig mitbringen.
“100 euro!”
“20?”
“Ok.”
Der teuflische plan war besiegelt und ich hatte ein geklautes rad unterm hintern. Ethisch fand ich das bedenklich, aber angesichts meiner misslichen lage war ich ja an den rand der gesellschaft gedraengt worden und hatte keine andere wahl. Die ersten wochen fuhr cathi immer vor mir her. Oder hinter mir. Anders haette ich mich nicht getraut. Erschwerend kommt ja noch hinzu, dass ich eine orientierung wie ein einjaehriges kind habe. Nur schlechter. Berlins strassen sind mir ein grosses raetsel.
Gestern dann war der moment gekommen, wo ich mich das erste mal traute mit meinem rad eine extensive spritztour zu machen. Alleine. Ohne cathis anweisungen von vorne. Zuerst musste ich meinen treuen stadtplan studieren. Mehrfach. Die strecken kamen mir einigermassen bekannt vor. Hatte ich mit cathi oft geuebt. Also rauf aufs fahrrad und losgefahren. Das wasser in meinem frontlicht schaukelte schoen beim stuckerpflaster. Wie ein adler hielt ich ausschau nach kleinen kindern, sich spontan oeffnenden autotueren und fussbaellen – allesamt sehr fies (erzaehlt man sich in kenner-kreisen). Bei jeder roten ampel hielt ich brav an. Schon allein, weil ich eh nicht mehr konnte. Da muss sich noch etwas mit meiner kondition aendern. Das bergige berliner land hat es echt in sich. Ich hab auch leider noch nicht rausgefunden, welcher der sieben gaenge fuer mich am wenigsten beinschmerzen und herzrasen verursachen. Note to self: fuer ein gangstudium immatrikulieren.
Ich ueberholte sogar eine fahrerin. Von hinten sah sie sehr jung aus mit ihrem kurzen roten roeckchen und wehenden haaren. Als sie dann wieder an mir vorbeizog sah ich, dass sie doch irgendwie alt war. Schade – kurz hatte ich wirklich das gefuehl nicht die langsamste zu sein.
Das mit dem anschliessen muss ich auch nochmal ueben. Neulich schloss ich meinen lenker an. Mit meinem jetzigen wissen betrachtet war das dann doch nicht sehr sinnvoll.
Auf der nachhausefahrt hatte ich kurz mal wieder cathi dabei. Das fuehlte sich gut an. Als sich unsere wege an der sonnenallee trennten, sagte sie:
“Du kommst dann hier direkt auf den hermannplatz und dann musst du…”
“Ah ja. Hermannplatz. Weiss ich. Brauchste mir nich erklaern.”
Schliesslich war ich ja am selben tag schonmal da gewesen. Kinderspiel. Als ich dann immer wieder um den dummen hermannplatz fuhr und alles so anders aussah in den neuen lichtverhaeltnissen, drohte ich kurz in panik auszubrechen. Ausserdem bruellte ein junger mann mir in gebrochenem deutsch zu:
“Wo? Wo? Wo faehrstu? Isch hier!”
Um nicht zum dritten mal an ihm vorbeifahren zu muessen, stoppte ich, japste nach luft und entfaltete meinen stadtplan. Ich fand dann doch noch nach hause. Cathi hab ich davon nichts erzaehlt. Das bleibt mein geheimnis.