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Rheingaudi – ein hessischer Reisebericht Teil 1

Mai 13th, 2013|0 Comments

Ich bin gebürtige Friedrichshainerin. Westdeutschland, wie es früher bei uns so schön hieß, blieb bislang von mir zu großen Teilen unerkundet. Da alle meine zugewanderten Freunde aus Hessen ständig von den Weinbergen und Flüssen und Feldern ihrer Heimat schwärmen, beschloss ich, mir dieses Bundesland mal genauer anzugucken.

Ich komme mit meinem Begleitschutz in Oestrich-Winkel im Rheingau an. Omma Liesel, noch nie in meinem Leben gesehen, begrüßt mich mit einer herzlichen Umarmung. Sie trägt eine geblümte „Kiddelschörz“ und drückt jedem ein Glas „foi Woische“ in die Hand. Ich sei „e goldisch Oos“. Ich nicke, lächle höflich und trinke einfach alles aus, das mir eingeschenkt wird. Ich verstehe ehrlich gesagt kein Wort von dem, was sie erzählt. Und Omma Liesel erzählt viel. Es ist 14 Uhr und ich habe dezent einen sitzen. Ganz schön, dieses Hessen.

Omma Liesel aus Winkel (Obberbahn) hält seit 84 Jahren erfolgreich einen konstanten Pegel.

Omma Liesel aus Winkel (Obberbahn) hält seit 84 Jahren erfolgreich einen konstanten Pegel.

Wir begeben uns auf die „Romantik-Tour“ nach Rüdesheim. Mit der Seilbahn geht es getreu dem Motto „Über den Reben schweben“ hoch zum Niederwalddenkmal. Der Elvis ist auch schon mal mit der Bahn gefahren, wusste Oma Liesel zu erzählen. Eventuell sprach sie aber auch von etwas ganz anderem.

Katzen-, Deutschland- und auch Brustfans kommen in Rüdesheim am Rhein voll auf ihre Kosten.

Katzen-, Deutschland- und auch Brustfans kommen in Rüdesheim am Rhein voll auf ihre Kosten.

Die Seilbahn ist nicht ohne. Aus den in die Gegenrichtung fahrenden Gondeln schießen Besoffene mit Böllern auf uns. Ich mache es mir flach auf dem Bauch liegend zu den Füßen meiner Mitfahrer bequem und erinnere mich an Omma Liesels Geschichte von „die letzde drei Granade vom Kriesch.“ Jetzt weiß ich, wie sie sich damals fühlte.

Etwa 40 Meter über den rauen Weinbergklippen von Rüdesheim wird einem, nicht nur der Trunkenheit wegen, speiübel.

Etwa 40 Meter über den rauen Weinbergklippen von Rüdesheim wird einem, nicht nur der Trunkenheit wegen, speiübel.

Oben angekommen schwingt die unverhältnismäßig große Germania kampfeslustig eine Fackel. Auf ihrem Sockel klettern Gruppen rotzeblauer Vatertagsausflügler mit fahrbaren Bierfässern und mobilen Holzkohlegrills umher – allesamt mit geöffneten Hosenställen und glasigen Augen. Ich spüle angeekelt eine Prinzenrolle Vollkorn mit einem doppelten Schoppen Weißwein runter.

Dunkle Vatertagswolken über dem Main. Oder wie der Fluss dort heißt.

Dunkle Vatertagswolken über dem Main. Oder wie der Fluss dort heißt.

Später geht es mit einem Kreuzfahrtschiff den Rhein entlang am Binger Loch vorbei in die Wein-, Sekt- und Rosenstadt Eltville. Eltville verhält sich zum Wohnort meiner brandenburgischen Großeltern, Schenkendorf, in etwa wie Megan Fox zu Vera Int-Veen. Ostdörfer wurden aus grauem Staub und Asbest gebaut, Eltville aus Fachwerk und Rosen. Ich trinke einen Weincocktail mit Basilikum auf einer edlen Terrasse, während unter mir Kanadagansbabies im sonnigen Rhein planschen. In der Kirche von Eltville zünde ich eine Kerze an und wünsche mir, dass ich mich auf dieser Reise nicht öffentlich übergeben muss. Na, dann zeig mal, was du drauf hast, Mutter Maria.

Ich habe inzwischen an die zwei Liter Riesling intus und bin mir sicher, dass die Filmkulisse von Eltville der schönste Ort der Welt ist.

Ich habe inzwischen an die zwei Liter Riesling intus und bin mir sicher, dass die Filmkulisse von Eltville der schönste Ort der Welt ist.

Was mer net esse, trinke mer“, werden wir im Weingut Allendorf begrüßt. Dazu gibt es ein Glas Sekt. Natürlich. Inzwischen bin ich versucht, es heimlich in einen Blumenkübel zu gießen. Omma Liesel sitzt draußen mit ihrem Stammtisch „Winkler Girls“ und strahlt.

Im Weinkeller darf ich in ein 16.000-Liter-Fass gucken. Der Weinstein glitzert wie Diamantenstaub. Inzwischen kommt mir hier eh alles vor wie Disneyland. Ich bin begeistert.

„In Vino Veritas“, finde ich inzwischen auch. Man reiche mir eine Aspirin.

„In Vino Veritas“, finde ich inzwischen auch. Man reiche mir eine Aspirin.

In meinem jugendlichen Übermut klettere ich auf einen großen Kirschbaum inmitten des Weingutes und brülle: „Ich liebe Rheinland-Pfalz!

Ebe langts“, ruft mir Omma Liesel von unten zu. Ich freue mich mit ihr und bestelle mir noch eine Rotweinschorle. Inzwischen bin ich quasi als Hessin wiedergeboren und ich kann euch sagen: Des geht hnunner wie heilisch El.

 

Dieser Text erschien auch im Intro-Magazin. Alle meine Intro-Texte gibt es hier.

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